Aktueller Fall des Monats

Titel
Vorbereitung der Schmerzmedikation

Fall-Nummer
245851

Was ist passiert?
Befüllung der Pumpe wurde durch den anästhesiologischen Dienst der ITS
vorbereitet. Die Person schloss sich selbstständig die BtMs aus dem Tresor der Station
auf, dabei wurden zum einen 2 mit mit "50 mg" beschriftete Oxycodon-Ampullen
entnommen und irrtümlich in der Annahme, es wäre 100 mg Sufentanil, aufgebrochen.
Dieser Irrtum wurde noch vor dem Einspritzen in den Ropivacain-Beutel bemerkt und
deshalb wurde eine große Sufentanil-Ampulle à 250 mg aus dem Tresor entnommen.
Hier wurde irrtümlich die gesamte Ampulle (5 ml) in den Ropivacain-Beutel gespritzt,
ohne die korrekte Dosierung zu beachten. Der Person fiel im Gespräch beim Austragen
der Patienten-Daten mit einer (nicht den Patienten betreuenden) Pflegefachkraft der
Irrtum auf, so dass der jetzt schon gemischte Medikation Ropivacain und Sufenta
verworfen wurde.

Was war besonders gut?
Die richtende ärztliche Person rückversicherte sich mit der die BtMs austragende
Pflegefachperson über die korrekten und inkorrekten Medikamente und trug diese im
Beisein der zweiten Person aus bzw. verwarf die falsche Zubereitung, so dass der Patient
damit nicht in Berührung kam. Es wurde eine korrekte Mischung zur epiduralen Gabe
nach Hausstandard gerichtet.

Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie könnte es in Zukunft vermieden werden?
Verschnellerte Abläufe, mehrere, hintereinander zu übernehmende postoperative
Patient*Innen in dem Dienst und dadurch bedingter Stress.
Die Pumpen werden im Anästhesiebereich oftmals eher durch die geschulte und
routinierte Anästhesie-Pflege gerichtet als durch Ärzte. Fehlende Platzressourcen im
Tresor durch viele vorrätig zu haltende Opiate und daraus resultierender Zurückhaltung,
noch eine Opiat-Größe einzulagern. Die momentane Bestückung mit Sufentanil in der
kleinsten und der größten Ampullen-Größe auf der ITS führt zum Umdenken beim
Richten und es muss entweder aus vielen kleinen Ampullen oder aus einer zu großen
Ampulle entnommen werden und noch anschließend Medikamenten-Rest verworfen
werden. Dies ist ungünstig.

ASA Klassifizierung: ASA II

Patientenzustand: Pat. wurde gerade postoperativ aus dem OP übernommen; die den
Patienten einleitende Anästhesie hatte intraoperativ einen PDK gelegt, laut Schema sollte
Pat. dann mit PCEA zur Steuerung der zu erwartenden Schmerzen versorgt werden. Der
Patient war bei Übernahme wach, adäquat ansprechbar und konnte sich ausreichend
bewegen, sowie seine Situation einschätzen. Patient kam ohne laufende/ vorbereitete
Analgesie aus dem OP.

Wichtige Begleitumstände: Zu dem Zeitpunkt musste aufgrund einer größeren Material-
Rückrufaktion die sonst über Schmerzpumpen [Produktname] laufende PCEA-Therapie
über Spritzenpumpen [Produktname], ohne Bolus-Funktion, laufen. Der Pat. kam ohne
vorbereitete Pumpe aus dem OP/ AWR, sodass auf der ITS die Befüllung der
Spritzenpumpe mit Perfusor-Spritze mit Medikamenten-Mischung gerichtet wurde.

Wie häufig tritt ein solches Ereignis ungefähr auf? Ein- bis zweimal im Quartal

Zuständiges Fachgebiet: Anästhesiologie

Wo ist das Ereignis passiert? Krankenhaus

In welchem Bereich ist das Ereignis aufgetreten? ITS / IMC

Tag des berichteten Ereignisses? Wochentag

Versorgungsart: leer

Wer berichtet? Pflege-, Praxispersonal

Kommentare

Kommentar des Anwender-Forums:
Der vorliegende Bericht nennt eine Fülle von Faktoren, welche die Entstehung eines
zweifachen Fehlers begünstigten. Zunächst wurde der falsche Wirkstoff aus dem BTM-
Tresor entnommen und musste verworfen werden. Anschließend wurde der richtige
Wirkstoff entnommen, aber in einer zu hohen Dosierung zur Vorbereitung der
Spritzenpumpe verwendet. Auch diese Zubereitung musste verworfen werden.

Glücklicherweise wurde beides bemerkt, bevor die Medikamente verabreicht wurden. Das
Anwenderforum betont die gute gegenseitige Rückversicherung und Rückkopplung
zwischen Ärzt:in und Pflegefachkraft. Letztlich wurde die korrekte Mischung hergestellt, das
Betäubungsmittel verworfen und offenbar korrekt ausgetragen.

Dieser Bericht geht über die klassische Medikamentenverwechselung aufgrund einer Look-
Alike-Problematik hinaus. Da im vorliegenden Bericht ein Materialrückruf Auslöser einer
Kette von nachfolgenden Änderungen gewohnter Prozesse war und somit die
Fehlerentstehung entscheidend begünstigt hat, legt das Anwenderforum in seiner
Diskussion den Fokus auf die Auswirkungen von Materialrückrufen.

Durch den Rückruf der Schmerzpumpen wurde die Pumpe nicht im OP bestückt und der
Patient ohne vorbereitete bzw. laufende Medikation auf die ITS verlegt. Dadurch wurde der
Prozess des Anfertigens der Mischung von den routinierten Anästhesiepflegekräften im OP
auf die ITS verlagert. Der anästhesiologische Dienst der ITS ging davon aus, dass der BTM-
Tresor auf der ITS identisch bestückt sei wie der Tresor im Anästhesiebereich, was
wiederum die Verwechselungen begünstigte.

Das Anwenderforum diskutiert Folgendes: Durch den Materialrückruf ändert sich die
Verantwortlichkeit zunächst einmal nicht automatisch. Ist die Frage „Was passiert nach dem
Materialrückruf?” und der Übergang der Aufgaben überhaupt bis zum Ende durchdacht und Ärztekammer Berlin und Bundesärztekammer vorab kommuniziert worden („Unsere Patient:innen kommen ab jetzt vorübergehend ohne vorbereitete Schmerzmedikation aus dem OP auf die Station.”)?

Die Verwendung einer Spritzenpumpe stellt, anders als die Schmerzpumpe mit
Bolusfunktion, keine patientenorientierte Schmerztherapie dar. Lag der Rückruf zum
Berichtszeitpunkt schon länger zurück, so dass eine Alternative und damit eine Rückkehr
zur patientenorientierten Schmerztherapie möglich gewesen wäre oder war der Rückruf so
frisch, dass die Verwendung der Spritzenpumpen die einzige kurzfristige
Lösungsmöglichkeit darstellte?

    Zur Vermeidung ähnlicher Ereignisse empfiehlt das Anwenderforum:

    • Bei zunehmenden Lieferengpässen und immer wieder auftretenden Rückrufen sollte
      ein generelles Vorgehen für den Umgang mit diesen Situationen etabliert und
      möglichst auch standardisiert werden.
    • Dieses Vorgehen muss beinhalten, dass die verantwortlichen Bereiche alle
      Konsequenzen in ihrer Prozesskette nicht nur bis zur nächsten Schnittstelle, sondern
      bis zum Ende hin durchdenken. Im Zweifelsfall müssen sich die verantwortlichen
      Bereiche mit den Akteuren der nachfolgenden Prozessschritte abstimmen.
    • Für besonders sensible Bereiche sollten vorab Szenarien durchdacht werden. Hier
      bis zum Ausfall abzuwarten, erhöht die Fehlerwahrscheinlichkeit.
    • Eine gedankliche Inventur hilft dabei, Strukturen zu schaffen, die bei Lieferengpässen
      oder Materialausfall greifen. Dabei sollte risikobasiert vorgegangen werden: Welche
      Ausfälle oder Engpässe in meinem Bereich wären am schlimmsten und wofür
      brauchen wir unbedingt einen „Plan B”.

    Der Bericht benennt die uneinheitliche Bestückung der BTM-Tresore als einen
    fehlerbegünstigenden Faktor. So sehr dies der Fall sein mag, ist das Anwenderforum sich
    einig, dass die naheliegende Vereinheitlichung der Bestückung aller Tresore keine
    praktikable Maßnahme darstellt und auch nicht wirtschaftlich sein dürfte. Dennoch kann eine
    kritische Überprüfung der jeweiligen Inventarlisten und allgemein der Größe der Tresore
    Verbesserungspotenzial aufzeigen.

    Hinweis: Das Anwenderforum vermutet, aufgrund der üblichen Dosierungen von Sufentanil,
    dass im Bericht in Verbindung mit diesem Wirkstoff versehentlich die Größenangabe
    Milligramm anstelle von Mikrogramm verwendet wurde.

    Stichworte: Darreichung/Verpackung, Medikamentenlagerung, Medikamentenausgabe/
    Vorbereitung, look alike